Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffe (Buchrezension)


Zu einem Pilotprojekt zur Gesichtserkennung in der Videoüberwachung wurden zwei beeindruckende Zahlen genannt. 80% Trefferquote und 0,1% Fehlerquote. Das heißt, dass von 10 gesuchten Personen 8 richtig erkannt wurden und von 1.000 Unschuldigen nur einer fälschlicherweise als gesuchte Person erkannt wurde.

Klingt gut, oder? Klingt auch ziemlich sicher, so als könnte man diese Technologie bedenkenlos einsetzen. Ich war – als großer Kritiker solcher Technologie – positiv überrascht, als ich diese Zahlen im Buch „hier einfügen“ von Gerd Gigerenzer gelesen hatte. Aber ich lag falsch. Denn die Wirklichkeit ist viel bedrohlicher, als ich in diesem Moment geglaubt hätte.

Denn wir vergessen dabei, dass an einem normalen Tag in einem Bahnhof viel mehr Unschuldige unterwegs sind als gesuchte Personen. 1 aus 1000, der zu unrecht beschuldigt wird, bedeutet in einem ganz normalen Jahr immerhin noch, dass 12.000 Menschen unschuldig verdächtigt werden. 12.000 Menschen, die in Gewahrsam genommen werden, bis sie beweisen können, dass sie nicht die gesuchte Person sind. Wenn wir jetzt überlegen, dass viel weniger gesuchte Personen unterwegs sind und, dass die gesuchten Personen möglicherweise sogar so schlau sind, diese Orte zu meiden, kommen also auf einen richtigen Treffer vielleicht 10, vielleicht 100 vielleicht 1.000 falsch Positive Treffer. Klingt nicht mehr so gut.

Das Buch „Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffe“ von Gerd Gigerenzer beschäftigt sich mit Algorithmen, Maschinellem Lernen, künstlicher Intelligenz und vor allem ihren Grenzen.

Ich bin sehr froh, dass ich dieses Buch direkt im Anschluss an „Noise: Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können“ von Daniel Kahnemann gelesen habe. Denn dadurch stand ich vielen Argumenten von Gigerenzer von vornherein differenzierter Gegenüber.

Wo die Technologie gut ist und wo nicht

Gigerenzer führt an, dass Technologien wie die Gesichtserkennung durchaus ihre Berechtigung haben. Sie funktionieren sehr gut, wenn wir unser Handy entsperren oder wenn bei Einreisekontrollen biometrische Passbilder mit dem Reisenden verglichen werden, allerdings sei die Technologie für flächendeckende Screenings zu fehlerbehaftet. Da stimme ich ihm nach der Durchsicht der angeführten Zahlen zu.

Insgesamt bin ich kein Fan von dystopischen Schreckensgeschichten in denen durch die Bank der Vergleich der aktuellen Technologie zu Orwells 1984 angestellt wird. Ich kann auch dieses ganze „du bezahlst mit deinen Daten“-Gajammer nicht mehr hören.

Ich bin ehrlich gesagt froh darüber, dass mir Suchmaschinen und Soziale Netzwerke die Werbung anzeigen, die mich interessiert. Dadurch habe ich in der Vergangenheit schon viele sinnvolle Produkte und Geschenkideen gefunden, die mein Leben tatsächlich besser gemacht haben. Aus meiner Sicht ist das eine Win-Win-Situation. Bei Youtube bekomme ich oft Werbeanzeigen angezeigt, die mich so sehr interessieren, dass ich die Werbung sogar bis zum Ende schaue, obwohl ich sie längst überspringen könnte. Mein Rekord liegt bei einer Werbung zu einem Steuerwebinar, die ich mir 42 Minuten lang angeschaut habe, bevor ich das Interesse verloren habe. Das ist etwas, das früher – als ich noch Fernsehen geschaut habe – unmöglich gewesen wäre. Nicht mal die sogenannten Dauerwerbesendung aka Verkaufsshows die auf einigen TV-Sendern rund um die Uhr liefen hatten so eine Zuschauerbindung wie ich bei diesem Steuerwebinar.

Wir brauchen smartere Nutzer

Dennoch tut etwas mehr Bildung im kritischen Denken weiten Teilen der Bevölkerung wohl sehr gut. Ich war überrascht darüber, dass so viele Menschen nicht zwischen organischen Suchergebnissen bei Google und Anzeigen unterscheiden können. Das ist wirklich erschreckend. Ich mein: es steht Anzeige daneben!

Vor einigen Monaten habe ich mich mit Bekannten über die Netflix Dokumentation „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ unterhalten. Und eine Person erzählte mir vollkommen aufgebracht: „Die nehmen deine Interessen und gucken dann nach Leuten die dir ähnlich sind“ und in meiner gewohnt arroganten Manier dachte ich dann nur: „Okay wow Britney schreib ein Lied drüber“ – Ich will jetzt echt nicht so räudig klingen, wie ich es wahrscheinlich tue, aber: mich hat es wirklich überrascht, dass es Menschen gibt, denen das nicht klar war.

An wen richtet sich das Buch?

Als jemand, der sich schon sein halbes Leben mit Programmierung, Algorithmen (und wie man sie austrickst), maschinellem Lernen, künstlicher Intelligenz etc. beschäftigt, sitze ich natürlich in einem Elfenbeinturm.

Daher würde ich das Buch „Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffe“ vor allem Menschen empfehlen, die sich nicht so eingängig mit der Technik beschäftigt haben wie es Menschen in meiner Bubble tun.

Das Buch ist sauber recherchiert und ich habe mich vor allem deswegen dazu entschieden es zu lesen, weil der Name Gigerenzer für Qualität steht. So gehört „Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“ zu einem der besten Bücher, die ich gelesen habe.

Allerdings liegt das sicher auch daran, dass ich eben kein Statistiker bin. Hätte ich Statistik im Studium ausgiebig behandelt, hätte ich vielleicht auch bei Risiko in meinem Elfenbeinturm gesessen und gesagt „Wow Britney, schreib ein Lied drüber“, weil mir die Informationen aus Gigerenzers Buch so trival erschienen. Das ist wohl das große Problem meiner Betriebsblindheit in diesem Fall. Daher ist es ganz wichtig meine Meinung zu diesem Buch mit dem Hintergrundwissen zu betrachten, dass ich wohl nicht die Zielgruppe bin.

Fazit

Wenn man das ausklammert, dann ist Klick ein sehr spannendes Buch, das für Menschen mit einem durchschnittlichen Maß an Wissen über Algorithmen und Künstliche Intelligenz garantiert sehr viel Neues bietet. Ich würde trotzdem jedem empfehlen das Buch in Kombination mit Noise zu lesen, weil Noise sehr eindrucksvoll herausstellt welche großartigen Chancen Algorithmen, Modelle und künstliche Intelligenz in der Entscheidungsfindung bieten.


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Für diese Rezension wurde mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.