Dr. Leon Windscheid ist Podcaster, Wer-Wird-Millionär-Gewinner, und Buchautor. Er ist aber auch Psychologe und für mich insgesamt eine sehr inspirierende Persönlichkeit.
Ich bin daher mit großen Erwartungen an das Buch von Leon Windscheid rangegangen.
In seinem neuen Buch „Besser fühlen: Eine Reise zur Gelassenheit“ erschienen im Rowohlt Verlag beschreibt er die Bandbreite unserer menschlichen Gefühle, was sie uns sagen wollen und wie wir besser mit ihnen umgehen können. Zum Buch ist auch ein Hörbuch bei der Hörverlag erschienen, das mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde.
Das Hörbuch wurde von Leon Windscheid persönlich gelesen. Als Podcaster hat er ja schon eine gewisse Übung darin und das macht das Buch auch irgendwie persönlicher.
Er beschreibt hier eine ganze Bandbreite an Gefühlen und hört nicht bei den Emotionen auf, die uns als erstes in den Sinn kommen würden. Wut, Trauer, Angst, Freude. Nein, er geht weiter. Er beschreibt Langeweile und das Zeitgefühl. Dieser Part hat mir sogar am Besten gefallen, weil ich das individuelle Zeitgefühl für etwas sehr faszinierendes halte und immer auf der Suche nach Möglichkeiten bin, um mein Leben mit mehr Zeit zu füllen, statt in einem Brei aus immer gleichen Tagen und Erinnerungen zu versinken.
Leon Windscheid stützt sich bei seinen Ausführungen unter anderem auf die Forschungen von David Eagleman (von ihm sind ebenfalls einige Bücher bei Siedler und Pantheon erschienen). Kurz zusammengefasst kommt uns Zeit länger vor, wenn wir sie mit vielen neuen und emotionsgeladenen Ereignissen füllen. Tun wir stattdessen jeden Tag dasselbe fragen wir uns oft, wieso die Zeit zu schnell vergeht. Das ist auch ein Grund, wieso die Zeit mit dem Alter immer schneller voranschreitet. Als Kinder erleben wir viel mehr erste Male und insgesamt sind unsere Erlebnisse deutlich emotionsgeladener als wir es als Erwachsene erleben.
Kleine interdisziplinäre Ausflüge und bekannte Experimente
Er geht außerdem auf Hunger als Gefühl ein und streift hierbei die Biologie. Wir lernen etwas über das Sättigungshormon Leptin, über Erklärungsansätze wie Hunger entsteht und vieles mehr. Insgesamt gelingt es dem Autor sehr gut verschiedene Disziplinen der Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften in kleinen Ausflügen zu seinem Kernthema zu ergänzen.
Ebenfalls gut gefallen haben mir auch seine Ausführungen zu Liebe und dem Verliebtsein. Das Experiment von Dutton und Aron aus dem Jahr 1974 zur zwei Faktor Theorie der Emotionen ist wohl jedem Psychologiestudenten im ersten Semester bekannt. Dir nicht? Kein Problem!
Die zwei Faktor Theorie besagt, dass jedes Erleben von Emotionen zum einen auf einer physiologischen Erregung (also Aufregung, Herzklopfen etc.) als auch zum anderen auf seiner kognitiven Bewertung basiert.
Dazu führten Dutton und Aron ein Experiment durch. Männer sollten über eine wackelige Hängebrücke gehen. Am Ende gab ihnen eine Versuchsleiterin ihre Telefonnummer für Rückfragen zum Experiment. Später stellte sich heraus, dass die Männer, die über die wackelige Brücke gehen mussten signifikant häufiger bei der Frau angerufen haben, als die Männer einer Kontrollgruppe, die nicht über die Brücke gehen mussten.
Die Forscher schlossen daraus, dass dies damit zusammenhänge, dass die Männer die physiologische Erregung beim Überqueren der Brücke so gedeutet hatten, dass sie die Frau besonders attraktiv fanden. Wir neigen also dazu, die Gefühle, die wir für eine Person haben zu verwechseln. Gehen wir mit unserem Date in einen Horrorfilm und haben dabei die ganze Zeit Herzrasen, so verwechseln wir den Grund möglicherweise und denken die Anwesenheit der anderen Person hätte dies in uns ausgelöst.
Doch neben diesen spannenden Informationen zur Verliebtheit geht der Autor in seinem Buch noch weiter und erklärt, was dazu führt, dass Menschen glücklich zusammenbleiben, wenn die erste Phase der Verliebtheit abgeflacht ist. Er spricht davon, dass wir unser Selbst in der Beziehung erweitern, um glücklich zu sein.
Ich bin mir sicher, dass jede*r, der an menschlichen Emotionen und populärer Psychologie interessiert ist, in diesem Buch etwas finden wird, das ihn oder sie bereichert.
Mein Gesamteindruck ist daher positiv gewesen, trotzdem möchte ich hier und da ein paar Anmerkungen zu Teilen des Buches beziehungsweise Hörbuches machen, die mir nicht so gut gefallen haben.
Ratschläge zur mentalen Gesundheit in Büchern sind immer ein Drahtseilakt
Es ist immer ein Drahtseilakt wenn man in einem Buch Ratschläge gibt, die auf die mentale Gesundheit der Lesenden abzielen. Als Autor weiß man naturgemäß nicht so viel über die Menschen, die das Buch später lesen werden. Vor allem aber, weiß man nicht so viel über ihre individuellen Probleme und ihre psychische Gesundheit. Ich finde es daher schwierig, wenn man bereits zu Anfang des Buches den universellen Ratschlag gibt, dass die Konfrontation mit der Angst immer die beste Möglichkeit wäre, um sie zu besiegen.
Angst und Konfrontation: Liebe Kinder, bitte nicht zu Hause nachmachen!
Ich will gar nicht anzweifeln, dass Leon Windscheid fachlich gut ist. Daher bin ich mir auch sicher, dass dieser Ratschlag der gängigen Lehrmeinung innerhalb einer Therapie entspricht.
Allerdings finde ich es:
- schwierig das zu pauschalisieren
- schwierig, weil der Autor nichts über die psychische Vorgeschichte des Lesenden weiß
und auch wenn Konfrontation bei Angststörungen eine sehr hohe Erfolgschance hat, so gibt es immer noch Menschen, die durch eine („falsche“) Konfrontation mit ihrer größten Angst in eine psychische Krise gestürzt werden, sich im Zuge dieser Konfrontation etwas antun oder ihre Ängste dadurch noch verstärken.
Es gibt ganz viele Berichte von Flugreisenden, die ihre Flugangst überwinden und ins Flugzeug steigen. Bei vielen Menschen führt das sicher dazu, dass sie danach entspannter fliegen. Aber bei anderen führt es dazu, dass die Angst von mal zu mal schlimmer wird.
Wenn ich meine Flugangst loswerden möchte, dann macht es sicher Sinn an irgendeiner Stelle mal zu fliegen, damit ich feststellen kann, dass die bedrohliche Situation nicht eintritt oder meine Angst vielleicht sogar verschwunden ist. Aber die Angst verschwindet selten allein dadurch, dass der Betroffene sich ins Flugzeug setzt und die Situation erlebt. Die Angst muss in der Regel vorher irgendwie (unter professioneller Anleitung oder allein) aufgearbeitet werden.
Schon besser, aber nicht perfekt: Visualisierungsübungen gegen Angst
Leon Windscheid führt in seinem Buch „Besser fühlen“ als Beispiel die Angst davor im Alter zu verarmen an und rät zu einer Visualisierungsübung. Man solle sich vorstellen wie es ist dann ganz arm in einem Pflegeheim zu leben, niemanden zu haben, so schrecklich wie möglich.
Man kann sich (rein praktisch) nicht mit jeder Angst konfrontieren
Natürlich können wir nicht jede Angst live erleben. Wenn ich Angst davor habe in einer dunklen Gasse überfallen zu werden, dann kann ich schlecht die ganze Nacht durch die dunkle Gasse laufen, bis ich überfallen werde, um mich mit dieser Angst zu konfrontieren. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass diese Art der Konfrontation die Angst nicht lindern wird, weil meine schlimmen Erwartungen dadurch ja eintreten. Möglicherweise werden sie sogar noch übertroffen.
Genauso ist es mit der Angst davor, dass ein Angehöriger oder man selbst stirbt. Hier sind Visualisierungsübungen rein technisch ein guter Ersatz.
First of all: Ich bin kein Psychologe. Außerdem bin ich mir sehr sicher, dass der Autor mit diesem Rat gute Absichten verfolgt. Nicht zuletzt, weil es signifikante Therapieerfolge mit dieser Methode gibt.
Ich halte es aber für schwierig diesen „Tipp“ in einem Buch zu geben, wo man sehr wenig über die Lesenden weiß. Man braucht jetzt nicht so viel Phantasie dafür, sich „auszumalen“, dass es Menschen geben wird, die durch solche mentale Konfrontation mit ihren Ängsten nur stärkere Ängste entwickeln, weil sie sich dann nur mehr und mehr da reinsteigern.
Ist das deswegen ein schlechter Rat?
Nein. Der Ansatz ist mit Sicherheit gut. Leon Windscheid wird wissen was er tut. Er hat ein Studium absolviert, darf den Titel Psychologe tragen. Er handelt mit großer Wahrscheinlichkeit nach dem aktuellen Stand der Forschung, wenn er solche Ratschläge gibt.
Ich hätte mir aber einen besseren „Disclaimer“ gewünscht.
Früher haben wir immer drüber gelacht, wenn bei „America’s funniest home videos“ nachts auf MTV der Hinweis „Nicht zu Hause nachmachen“ eingeblendet wurde und wir dachten uns: Wow, wer ist denn auch bitte so blöd und macht das zu Hause nach?
Aber Menschen müssen nicht unbedingt blöd sein, wenn sie den Ratschlag aus einem Buch befolgen. Vor allem nicht, wenn sie den Autor für fachlich kompetent halten. Im Hinblick auf ihre ganz individuelle mentale Hintergrundgeschichte kann es der richtige Ratschlag sein, den sie auch allein befolgen können.
Es kann aber auch ein Ansatz sein, den sie bitte nur im Rahmen einer richtigen Therapie befolgen. Und vor allem wenn jemand psychisch instabil ist, halte ich es für total gefährlich, wenn diese Menschen dann durch ein Buch angeregt auf die Idee kommen sich jetzt in Visualisierungsübungen mit ihren größten Ängsten zu konfrontieren.
Das Sorgenkarussell abstellen
Was ich wirklich spannend fand war, dass der Autor erklärt Sorgen seien die „Vorstufe“ vor Angst. Wer sich mehr Sorgen macht, hat weniger Angst, weil er sich „einreden“ kann, dass er sich ja auf die Situation vorbereitet. Die betroffene Person fühlt dadurch ein bisschen mehr Kontrolle.
Wer versucht seine Sorgen durch Entspannung abzustellen, bekommt langfristig mehr Sorgen, je mehr er sie unterdrückt und sich die Intensität erhöht.
Die Lösung: Statt sich Sorgen zu machen, lieber die Konfrontation mit der Angst (wenn auch nur mental).
Auch hier: Grundsätzlich hat er sicher Recht, aber ob dieser Rat wirklich für alle Lesenden im Alleingang der beste ist, weiß ich nicht.
Trotzdem war es für mich sehr erhellend und ich bin sicher, dass ich von diesem Ratschlag eine Menge mitnehmen kann, um mein Leben besser zu machen.
Ein allgemeiner Schwachpunkt von Hörbüchern
Das Buch „Besser fühlen“ ist mit einer großen Dichte an Informationen gefüllt. Es ist natürlich super bequem diese Informationen als Hörbuch zu genießen, während man joggt, Auto fährt oder bügelt. Grundsätzlich spricht auch nichts gegen das Notizen machen beim Hörbuch hören.
Doch bei Hörbüchern ist es generell nicht so einfach Einzelnachweise nachzuschauen. Das ist leider ein Schwachpunkt, den ich häufiger bei Hörbüchern bemängeln muss. Es wäre schön, wenn man das Literaturverzeichnis beziehungsweise die Quellen zu den Informationen im Hörbuch zusätzlich als PDF downloaden kann. Vor allem wenn Studien genannt werden, fühle ich mich wohler wenn ich sie nachlesen kann. Da ich mich dann bei interessanten Sachen in zukünftigen Diskussionen gleichzeitig auf die Originalstudie stützen kann.
Das ist allerdings für mich kein Grund das Hörbuch nicht zu kaufen. Es ist nur leider etwas, das mir immer wieder auffällt. Ich denke aber, dass es nicht jedem so geht wie mir und das fehlende Quellenverzeichnis die meisten Interessierten und Leon Windscheid Fans nicht vom Kauf abhalten wird.